Ist der Bologna Prozess gescheitert? Dies fragen nicht nur an Workload und Bürokratie verzweifelte FU-Studis. „Selbst konservative und Mainstream-Medien diskutieren mittlerweile zunehmend über ein Scheitern des Prozesses“ konstatiert das AStA-FU Blog zum Thema Bologna.
Dies liegt daran, dass zunehmend auch die ehemaligen Bologna-BefürworterInnen in den Uni-Präsidien und professoralen Lobbyorganisationen die Realität nicht mehr verschweigen können. Auch aus herrschender neoliberaler Sicht ist etwa die Einführung des Bachelor, Kernstück der Bologna-Reformen, ein Mißerfolg. Bernhard Kempen, Präsident des deutschen Hochschulverbandes äußerte seine Befürchtungen im Internetportal heise.de :
Verschulte Lehrpläne und haarklein festgelegte Module führen jedoch zu einem „Scheuklappen“-Studium, das den Blick nach rechts und links verstellt. Mit einem Studium, das es den Studierenden lediglich erlaubt, an der Oberfläche zu kratzen, werden wir nicht die Innovationsträger und Funktionseliten heranbilden, nach denen Politik und Wirtschaft in der weltweit konkurrierenden Wissens- und Informationsgesellschaft rufen. So schaffen wir nur „schmale Intelligenzen“. (…)
Mich erinnern die Studierenden von heute zum Teil eher an den berühmten Hamster im Laufrad. (…) Zeit für einen Blick über den Tellerrand des eigenen Fachs hinaus fehlt ebenso wie Zeit für erste Praxiserfahrungen im Ehrenamt oder einem studentischen Nebenjob. Das Studium als Fließbandarbeit – das kann nicht gut gehen.
Auch am Arbeitsmarkt ist ein Scheuklappen Studium unangebracht – ein Argument, das von Bologna-Kritikern seit Beginn der Reform vor fast zehn Jahren immer wieder geäußert wurde, leuchtet nun plötzlich auch den Befürwortern ein. Aber auch das Demokratiedefizit des Prozesses, das die Linken immer wieder bemängelt haben, wird nun zaghaft eingestanden:
Die Reformen, die in Deutschland mit dem Bologna- Prozess verbunden sind, sind nicht aus den Hochschulen heraus erwachsen. Sie sind den Beteiligten von oben verordnet worden. Ihre Kritik wurde von der Politik nicht aufgenommen. Nicht der Wettbewerb entscheidet, ob die neuen den alten Studiengängen überlegen sind.
Demokratie ist also effizienter, deshalb soll man sie ruhig ein bisschen machen lassen – eine seltsame Art, gegen den sich ausbreiteten technokratischen Absolutismus an den Hochschulen zu argumentieren. Hintergrund ist wohl, dass diesmal nicht nur die Studierenden außen vor blieben, sondern auch viele Profs übergangen wurden.
Ähnlich kritisch wie Kempen äußert sich inzwischen auch Julian Nida-Rümelin, heute Philosophieprofessor in München, ehemals Kulturstaatsminister im Kabinett Schröder und seinerzeit keineswegs ein Gegner von Bologna und Bachelor. Auch unter seinen Prof-Kollegen sei die Stimmung gegenüber den Bachelor inzwischen auf einem Tiefpunkt, konstatiert Nida-Rümelin im Taz-Interview:
Praktisch alle, die vor fünf Jahren noch optimistisch waren, sagen heute: Das ist eine Katastrophe. Vor allem die unter 45-Jährigen waren für die Umstellung auf moderne modularisierte Studiengänge. Die sagen jetzt: Was jetzt hier rauskommt, ist ja der reine Schulbetrieb. Dann hätte ich auch Gymnasiallehrer werden können.
Auch das ewige Schielen auf die USA hat seiner Meinung nach wenig gebracht. Was unter Austauschstudierenden schon seit Jahren bekannt ist und immer wieder auch öffentlich geäußert wurde, hat mittlerweile auch die Professorenschaft begriffen – der deutsche Bachelor übernimmt die Nachteile, aber nicht die Vorteile des US-Systems:
Die Bachelors dort sind viel breiter angelegt, deutlich bildungsorientierter, mit vielen Wahlmöglichkeiten. Bei uns aber hat man Schmalspurstudiengänge mit einem extrem hohen Umfang an Präsenzzeiten eingerichtet: Während des Semesters zwischen 30 und 50 Wochenstunden. Diese Studierenden können sich also nicht mehr stundenlang in die Bibliothek setzten. Sie können gar keine Bücher mehr lesen, sondern brauchen stattdessen nur kleine vorgekaute Häppchen, kopiert, als PDF-Datei herunterzuladen.
Abschied von Bologna? Zumindest gibt es eine Krise im jahrelang schöngeredeten Bild von der „erfolgreichen Reform“. Das AStA FU Blog sieht in dieser Wendung auch Chancen für studentische Interventionen:
Denn nach fast zehn Jahren Reform zeigt sich, dass zentrale Ziele des Prozesses verfehlt wurden. Nationale Alleingänge, passiver Widerstand, sehr unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen, Zeitdruck und chaotische Umsetzung auf lokaler Ebene – all diese Faktoren trugen dazu bei, dass der Bologna-Prozess heute eher einem großen Chaos als dem befürchteten hermetisch-homogenem Bildungsmarkt gleicht. Dennoch hat der Prozess, insbesondere in Deutschland, die Tendenzen zur Privatisierung und Warenförmigkeit von Bildung massivst beschleunigt und das öffentliche Bildungswesen stärker verändert als jede andere Reform einschließlich der großen Veränderungen im Gefolge von 1968.
[…] Es wäre eine Aufgabe für zukünftige studentische Protest- und Diskussionsforen, hier anzusetzen und die Widersprüche innerhalb des Bologna-Prozesses, aber auch zwischen Bologna und anderen Prozessen zu diskutieren. Dies setzt einiges an Recherche und wissenschaftlicher Aufarbeitung voraus, aber die Sache lohnt sich. Denn die chaotische Umsetzung der Bildungsreformen ist mittlerweile auch von Mainstream-Medien nicht mehr totzuschweigen, eine eventuelle De-legitimierung des Prozesses könnte neuen Spielraum bieten für Interventionen linker Bildungspolitik.
Bernhard Kempen hingegen scheint eher pessimistisch. Sein Fazit lautet:
Das böse Erwachen aus dem „gigantischen Feldversuch“ steht noch bevor.
Was befürchtet er? Einen Schaden für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschlands? Eine Niederlage Europas im Kulturkampf mit den USA? Oder gar einen Aufstand der Studierenden gegen ihr Dasein als Versuchstierchen im Hamsterrad? Man weiß es nicht….